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Paul rannte. So spät war er auf dem Schulweg noch nie dran gewesen. Er hatte nämlich nochmal umkehren müssen, weil er die Laterne vergessen hatte. Denn nach der Schule war bei seiner kleinen Schwester im Kindergarten der Martinsumzug. Und da wollte er unbedingt mit dabei sein. |
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Er fürchtete schon, die S-Bahn verpasst zu haben, da sah er sie um die Kurve kommen. Schnell stieg Paul in den letzten Wagen ein. Gerade noch geschafft. Wie immer wollte er sich in die letzte Sitzreihe setzen, wo Tim und Hannes jeden Morgen auf ihn warteten. Doch da saßen die beiden nicht. Dafür lag auf der Sitzbank ein Mann mit einer alten Strickmütze. Er war in einen abgetragenen Mantel eingerollt und schlief. |
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Sein grauer Bart war stoppelig und er trug löcherige Schuhe. Paul erschrak, als ihn seine Freunde von hinten grüßten. „Hallo Paul!“ Tim grinste ihn an: „Na, gerade noch rechtzeitig geschafft, was?! Vor lauter Laternenumzug…“ Tim zeigte auf Pauls Laterne. Paul hatte sie im letzten Jahr mit seinem Vater zusammen gebastelt. |
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Die ganze Martinsgeschichte war darauf zu sehen: der frierende Bettler im Schnee, Sankt Martin auf dem Pferd, wie er seinen Mantel mit dem Schwert teilte und die Hälfte dem Bettler gab. Er hatte viel Spaß gehabt beim Basteln und auch alles alleine ausgeschnitten. Jetzt war er schon in der fünften Klasse! Zu alt für einen Laternenumzug? Ihm doch egal! Tim klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und zog ihn neben sich auf einen freien Platz zu Hannes. |
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Gleich neben dem schlafenden Mann. „Der hat da schon geschlafen als wir eingestiegen sind.“ flüsterte Hannes. Alle drei sahen den schlafenden Mann an. „Warum der hier in der S-Bahn schläft? Hat der kein Bett zuhause?“ Paul sah den Mann genauer an und glaubte, ihn zu erkennen: |
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„Ich glaub, das ist der, der hinter dem Bahnhof wohnt. Dort ist eine Plane aufgespannt und darunter ein paar Plastiktüten und ein Schlafsack.“ Tim meinte: „Quatsch! Bei der Kälte kann man doch nicht draußen schlafen!“ Hannes unterbrach ihn:„Hey - habt ihr euren Fahrschein entwertet? Da vorne kommt ein Kontrolleur!“ Paul erschrak und durchsuchte hastig seine Jackentaschen. Zwei Karten hatte er eingesteckt. Eine für die Hinfahrt und eine für die Rückfahrt. Erleichtert fand er die Karten und entwertete eine. Der Kontrolleur kam langsam näher. |
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Tim zeigte auf den schlafenden Mann: „Ob der da wohl eine Fahrkarte hat?“ „Wohl kaum!“ meinte Hannes und überlegte laut, ob der Mann wohl rausgeschmissen würde. Bestimmt müsste er auch eine Strafe bezahlen… Aber ob der überhaupt Geld hat? Pauls Blick fiel auf die Hände des Schlafenden. Die sahen eiskalt aus. |
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Er wusste nicht warum, doch er wollte nicht zuschauen müssen, wie der Mann rausgeschmissen wurde. Deshalb zog er schnell den zweiten Fahrschein heraus, entwertete ihn ebenfalls und schob ihn dem schlafenden Mann in die halbgeöffnete Hand. Da war auchschon der Kontrolleur bei ihnen. Die Jungen streckten ihm ihre Fahrscheine entgegen. Der Kontrolleur nickte ihnen zu und wandte sich dem schlafenden Mann zu. |
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Vorsichtig nahm er den Fahrschein aus seiner Hand und stutzte. „Das ist doch ein Kinderfahrschein!“ brummte er. Die Jungen hielten den Atem an. Der Kontrolleur sah sie an und entdeckte die Laterne: Martin auf dem Pferd. Der Bettler. Der geteilte Mantel. Da wandelte sich das grimmige Gesicht des Kontrolleurs. Er lächelte die Jungen an: „Ich wünsch euch einen schönen Martinstag!“ Paul stand auf: „Danke gleichfalls!“ murmelte er und verließ die Straßenbahn hinter seinen Freunden. (frei nach Anne Bezzel) |
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Vielleicht hast du Lust, dir auch eine St. Martin-Laterne zu basteln. Dann findest du hier eine Vorlage dazu: |